nach dem Konzert…
eine Geschichte
Nach dem Konzert
Sie spürt das Holz in ihren Händen.
Den langen, vom Halten warm gewordenen Hals. Die Maserung, welche sich vom übrigen Korpus abhob, heller geworden war durch die vielen Streicheleinheiten, die ihm gegeben wurden. Gekrönt wurde das Werk von einer Schnecke, solch einer schönen Rundung, und die Wirbel aus dunklem Holz steckten darinnen wie 4 kleine Lollis. Silbrig glänzten die Saiten, die von ihnen gehalten wurden. Immer unter Spannung, nie war man ganz gewiß, ob sie nicht doch plötzlich einmal reißen würden und scharfe Striemen im Gesicht des Halters hinterlassen würden. Die Stelle, an der der mit Pferdeschweifhaaren gespannte Bogen über dieselbigen strich, war weiß und staubte, wenn die Haare darüber hinwegfegten. Nicht weit entfernt vom Steg, dem Halt, der die Spannung steuert, welcher durch eine verzierte Aushöhlung wieder wie ein kleines Krönchen anmutet. Ich denke, daß man nicht zuletzt wegen dieser vielen, lieblich anmutenden Details die Geige als die „Königin der Instrumente“ ansieht. Der Bogen ist das Werkzeug der rechten Hand, ach, wie lange braucht es, ihn in seine Gewalt zu bringen! Wie ein freches Hundchen muß er erzogen werden, bevor er dem Halter gehorcht. Da helfen keine Schmackies, doch Streicheleinheiten, viele, viele Stunden und Tage und Wochen und Monate und Jahre Streicheleinheiten. Wille und Liebe, ja, viel Liebe gehört dazu. Eigenliebe, Fremdliebe, bestenfalls Herzensliebe. All dies kann ein Musiker lernen, aber tief drinnen muß es schon in ihm angelegt sein, denn von Außen bekommt man diese Dinge nicht geschenkt.
Behutsam legt sie ihre Geige in den mit einem besonders weichen Fellstoff ausgelegten Geigenkasten, steckt den abgespannten Pferdeschweifhaarbogen in die Halterung des Kofferdeckels, legt ein wunderschönes, dunkelblaues Seidentuch über ihr geliebtes Instrument, senkt den Deckel und verschließt ihn sorgsam an drei Stellen. Nichts, aber auch gar nichts Böses darf ihrem Instrument widerfahren, nichts, aber wirklich gar nichts anderes als Liebe will sie ihm geben und ein Leben lang darauf aufpassen. Wie auf ein Kind. Ein Baby, das bereits zu einem sprechen kann.
Und was hat dieses Kind alles zu erzählen! Wenn man mit ihm spricht, dann antwortet es sofort. Mit einer Woge an Gefühlen dringt es an das Ohr, die Antwort, diejenige, welche man sich immer erhofft hatte. Es sind die Antworten, die man hören will, die da in die Seele eindringen, es ist das, was aus uns selber tief drinnen herauskommt und es ist das, was wir uns immer gewünscht haben. Es ist das pure Glück, weil wir genau diese Antworten im Leben gesucht haben und dank des Instrumentes finden konnten. Wir brauchen nun keinen anderen Menschen mehr dazu, niemanden, der uns beeinflußt, nein, denn nur wir alleine, jeder für sich, kann sich selber und damit das ganze Universum finden, wenn er seine Seele findet, wenn er sein urtümlichstes Eigenes findet, herausholt, sich von Außen nach Innen und von Innen nach Außen umkrempelt. Das Instrument ermöglicht uns, HINZUHÖREN. Deshalb wird die Musik, das Hören, das ins Innere Eindringen eines Eindruckes, der wichtigste Sinn im Leben sein, das wichtigste Sinnesorgan benutzende von Außerhalb kommende Geschehen, welches durch das Ohr und über die Haut und mit den Augen in unser ICH eindringt. Musiker sind Musik. Hörende sind Ton.
Mit ihren Gedanken, in Gedanken mit ihrem Körper, dem Instrument (und) ihrer Seele, steht sie noch im Konzertsaal. Dort, wo die Scheinwerfer das grelle Licht in den Raum warfen. Neben dem Dirigentenpult. Hinter ihr viele, viele Stühle und Notenständer, die noch mit Musikern besetzt waren, welche das gleiche denken wie alle Musiker, denn alle Musiker sind Musik. Gut hat der Dirigent sie heute begleitet. Ein Gefühl, wie wenn sie einen warmen, weichen Sessel hinter sich stehen hatte, der nachgab, wenn ihr Rücken es brauchte, und Halt, wenn ihr Stand es verlangte. Achtung strahlte ihr entgegen. Denn sie war gut. Beherrschte ihr Instrument. Hatte es gut erzogen. Mit vielen Streicheleinheiten, viele, viele Stunden, viele Tage, viele Monate, viele Jahre, viele Jahrzehnte. Das Alter ihrer Geige würde sie nie erreichen. Doch war auch sie geformt von der Zeit, von der Luft, die sie atmete, von den Wegen, welche sie lief, von den Worten, die sie hörte, von den Händen, welche sie spürte. Alles lief in ihren Körper, ihre Seele, ihren Geist, durchlief die Filter, welche sie im Inneren aufgebaut hatte. Wie in einem Getränkeautomaten, wo das eingeworfene Geld in den richtigen 50-Cent-Topf einsortiert wird, wog sie alles ab, was bei ihr ankam. Sie wollte nicht beeinflußt werden, denn sie wollte ihr Leben leben, nur ihre Geige sollte ihr Frage und Antwort stehen. Freundlich lächelte sie dabei. Wußte sie doch, daß alles, was sie tat, richtig war. Es gab nichts Falsches bei ihr, denn alles kam durch ihr Herz aus ihr heraus, und hätte einmal ihre Geige auf eine Frage hin geantwortet: „Nein, dieser Weg ist nicht der Richtige!“, dann hätte sie sofort einen anderen eingeschlagen, ohne Groll, ohne Zorn, in vollster Zufriedenheit. Sie war glücklich.
von Kirsten Becker-Purrmann